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Über das Gebet
von
Osman Nuri Topbas *
Bedingungen
für die Annahme des Gebets
Khuschû´
– Fromme Ehrerbietung
Mit den äußerlichen Bedingungen und Voraussetzungen
des Gebetes beschäftigen sich die islamischen Rechtswissenschaften
(Fiqh). Ein Gebet, das deren Regeln und Bestimmungen
nicht genügt, ist ungültig. Ein Gebet jedoch, das
gänzlich frommer Ehrerbietung entbehrt, hat ebenso sein
Ziel verfehlt. Deshalb sollte das Gebet die äußeren
Bestimmungen der Rechtswissenschaft ebenso wie die inneren,
welche die Regeln zum Erwerb der Zierden des Herzens sind,
erfüllen. Um diese Zierden des Herzens zu erlangen, ist
es notwendig, in die Geheimnisse der Selbstläuterung
oder Reinigung des Egos einzudringen. So sagt Allah im edlen
Qur’ân:„Erfolgreich jedoch wird der sein,
der sich reinigt.“ (1)
Dieser Prozeß der spirituellen Entwicklung ist von ungeheurer
Bedeutung für das Gebet. Allah der Allmächtige erwähnt
im heiligen Qur’ân nicht, was genau die Pflichten
(Fard), Notwendigkeiten (Wâjib) oder
die Anzahl der Gebetseinheiten jedes einzelnen Gebetes sind,
dagegen nennt Er wiederholt die Bedeutung frommer Ehrerbietung,
Aufrichtigkeit und innerer Ausgeglichenheit. Dabei spricht
Er von jenen Zuständen, die für unser gesamtes Leben
wichtig sind. Deswegen sind diese spirituellen Aspekte von
solch außerordentlicher Bedeutung, daß man sie
beim Verrichten des Gebets niemals außer acht lassen
sollte. Im heiligen Qur’ân heißt es:„Wahrhaft
erfolgreich werden die Gläubigen sein; diejenigen, die
in ihren Gebeten voll frommer Ehrerbietung sind.“ (2)
Und der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden
– hat gesagt: „Wer seine Gebetswaschung vollkommen
macht, das Gebet zur rechten Zeit verrichtet sowie die Verneigungen
und Niederwerfungen vollständig und in frommer Ehrerbietung
ausführt, dessen Gebet fährt auf wie ein strahlendes
Licht und ruft ihm zu: ,Möge Allah dich bewahren, so
wie du meine Bestandteile in ihrer Vollständigkeit bewahrt
hast!’ Wer jedoch seine Gebetswaschung nicht vollkommen
macht, das Gebet nicht zur rechten Zeit verrichtet sowie die
Verneigungen und Niederwerfungen nicht vollständig und
nicht in frommer Ehrerbietung ausführt, dessen Gebet
fährt auf als schwarze Dunkelheit und ruft ihm zu: ,Möge
Allah dich vernachlässigen, so wie du mich vernachlässigt
hast!’ So kehrt das Gebet, nachdem es zu dem von Allah
bestimmten Platze aufgefahren ist, zurück und schlägt
dem Achtlosen ins Gesicht.“ (3)
Scheikh Bahâ’uddîn Naqschbandî wurde
einst gefragt: „Wie kann der Gottesdiener fromme Ehrerbietung
während des Gebets erreichen?“ Er antwortete: „Es
gibt dafür vier Bedingungen:
1. Rechtmäßiges Einkommen
2. Aufmerksamkeit während der Gebetswaschung
3. Bewußtsein der Gegenwart Allahs zu Beginn des Gebets,
wenn man ,Allahu akbar!’ sagt
4. Das im Gebet vorhandene Bewußtsein der göttlichen
Gegenwart, das heißt, die Präsenz, innere Ruhe,
Konzentration und den Gehorsam gegenüber Allah, nach
dem Gebet beizubehalten.
Die fromme Ehrerbietung während des Gebets ist so bedeutsam,
daß Allah Seinen Diener entsprechend ihrem Maße
behandelt. So hat der Gesandte Allahs – Segen und Friede
seien auf ihm – gesagt: „Wenn ein Mensch sein
Gebet vollendet hat, erhält er ein Zehntel von dessen
Lohn, oder ein Neuntel, oder ein Achtel, oder ein Siebtel,
oder ein Fünftel, oder ein Viertel, oder ein Drittel,
oder die Hälfte. .“(4) und: „Manch einer
erhält nicht einmal ein Sechstel oder gar ein Zehntel
des Lohns für sein Gebet. Er bekommt nur den Lohn für
den Teil, den er in frommer Ehrerbietung verrichtet hat.“(5)
So erhält der Diener nur den Lohn für das Gebet
in frommer Ehrerbietung.
Diejenigen, die ihr Gebet in Aufrichtigkeit verrichten, sind
bemüht, dessen Anforderungen gerecht zu werden und verleihen
damit ihrer Hingabe an Allah Ausdruck. Sie konzentrieren sich
ausschließlich auf das Gebet, um daraus spirituellen
Nutzen zu ziehen. Sie fixieren ihren Blick auf den Punkt,
auf dem ihre Stirn ruht, wenn sie sich niederwerfen und gehen
bis hin zur Verzückung in dem tiefen spirituellen Empfinden
auf, daß göttliche Blicke auf ihnen ruhen. Dies
ist der Zustand eines aufrichtigen Dieners mit reinem Herzen,
so wie fromme Ehrerbietung insgesamt eine Frucht der Aufrichtigkeit
ist. Die Aufrichtigkeit verleiht dem Diener fromme Ehrerbietung,
führt ihn zu hohen Stufen in der Gegenwart Allahs und
garantiert ihm göttlichen Schutz. Der ehrwürdige
Gesandte – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –
sagte über diese Gottesdiener: „Frohe Botschaft
für diejenigen, die aufrichtig sind! Sie sind die Lichter
der Rechtleitung. Um ihretwillen werden die schlimmsten Schrecken
abgewendet.“ (6)
Damit Aufrichtigkeit und fromme Ehrerbietung im Herzen Wurzeln
schlagen und dadurch spirituellen Nutzen bringen können,
sind folgende Punkte zu beachten:
1. Innerer Herzensfriede
Die Seele sollte ausschließlich vom Geiste des Gebets,
dem Lobpreis Allahs und den heiligen Versen des Qur’ân
eingehüllt sein. Der Betende soll sich von allen weltlichen
Beschäftigungen losreißen. Eine Seele, die sich
nicht von der Beschäftigung mit der Welt trennen kann,
ist unfähig, sich auf das Gebet zu konzentrieren. Sie
kann sich nie der Gegenwart Allahs bewußt werden. Wenn
der Diener fähig ist, diese Art von Unachtsamkeit zu
überwinden, um Allah zu begegnen und den Segen der Rezitation
des Qur’ân zu empfangen, erreicht er Frieden im
Herzen. Die rechtschaffenen Männer Allahs mühten
sich damit ab, nicht nur verpaßte Gebete, sondern auch
all die Gebete, in denen sie keinen Herzensfrieden erreicht
hatten, nachzuholen. Das bedeutet nicht, daß jeder sich
so zu verhalten hätte, doch es demonstriert die Wichtigkeit
des Herzensfriedens im Gebet.
Die Ursache für inneren Frieden ist spirituelles Streben,
der Wunsch, sich spirituell weiterzuentwickeln, und dieses
Streben findet wiederum seine Erfüllung im Erfahren jener
Gottesnähe, die nur durch das Gebet erreicht werden kann.
2. Aufmerksames Verstehen
Man sollte, entsprechen den jeweiligen Fähigkeiten, verstehen,
was man rezitiert und diesem Verständnis die notwendige
Aufmerksamkeit widmen. Dies ist, nach dem Herzensfrieden,
der zweitwichtigste zu beachtende Punkt. Und dieses aufmerksame
Verstehen erweist sich als eine Brücke dazu, auch außerhalb
des Gebetes die darin vereinigten Zustände aufrecht zu
erhalten.
3. Ehrerbietung
Es ist wichtig, sich bewußt zu sein, daß man sich
in der Gegenwart Allahs des All-Gewaltigen Allmächtigen
befindet, um sowohl körperlich als auch spirituell frommer
Demut Ausdruck zu verleihen. Ehrerbietung beinhaltet die Bewahrung
von innerer Ruhe, aufmerksamem Verstehen sowie die Umsetzung
der für das Gebet geltenden Regeln. Diese Verhaltensformen
einzuhalten vervielfacht den Segen des Gebetes und ein solches
Gebet wird am Tage des Gerichts Fürsprecher für
den Betenden sein.
Dabei sollte man die folgende Warnung beachten: „Wenn
du wünschst, daß dein Gebet zu einer Himmelsreise
wird, so denke nicht, daß deine Anbetung vorzüglich
sei, angesichts der gewaltigen Herrlichkeit des Herrn und
all der Gnadengeschenke, die Allah dir gewährt hat! Glaube
nie, daß deine Anbetung ausreichend wäre, Allah
zu danken! Gedenke des Propheten – Allah segne ihn und
schenke ihm Frieden –, der zu häufig sagen pflegte:
„O mein Herr, ich bin unfähig Dir in gebührender
Weise zu dienen, so vergib’ mir!“
4. Ehrfurcht
Aus der Ehrerbietung heraus wird im Inneren eine Art von Furcht
geboren. Die Ehrfurcht erzeugt im Bewußtsein des Betenden
ein Gefühl für die Allmacht und Erhabenheit Allahs,
welches zu Ernsthaftigkeit und Frömmigkeit führt.
Dies sind die effektivsten Wege für den Diener, seine
Rangstufen bei Allah zu erhöhen. Im heiligen Qur’ân
heißt es: „Wahrlich, der Angesehenste von euch
bei Allah ist der, der am gottesfürchtigsten ist.“
(7)
Und Abû Dharr – möge Allah mit ihm zufrieden
sein – berichtete, wie er eines Tages im Herbst mit
dem Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden
– hinausging. Die Blätter fielen von den Bäumen.
Da sagte dieser: „O Abû Dharr! Es gibt wahrlich
keinen Zweifel daran, daß, wenn ein Muslim sein Gebet
allein um Allahs willen in voller Aufrichtigkeit verrichtet,
seine Sünden von ihm abfallen wie diese Blätter
von den Bäumen.“ (8)
5. Hoffnungsvolle Erwartung
Man soll während des Gebetes auf die Barmherzigkeit Allahs
hoffen und im Anschluß an das Gebet um diese bitten.
Furcht vor Allah alleine betrübt den Menschen und könnte
eines Tages unser spirituelles Gleichgewicht gefährden.
Hoffnungsvolle Erwartung bildet einen Ausgleich und beseitigt
damit diese Gefahr.
6. Scham
Dies ist eine weitere Tugend, die die oben genannten ergänzt.
Der Diener, der sich der göttlichen Präsenz gegenübersieht,
schämt sich für sein ungehöriges Verhalten
und seine Sünden, so daß er sich deshalb um Besserung
bemüht. Er wird sich im Gebet seiner Fehler und Nachlässigkeiten
bewußt und entgeht so der Einbildung, er könne
sich zu seiner Rettung auf seine Anbetung verlassen. Dazu
sagte der Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf
ihm: „Keiner soll sich darauf verlassen, daß ihm
seine Sünden allein wegen seiner Anbetung vergeben werden!“
(9)
Keiner kann garantieren, daß Jemandes Sünden wegen
seiner Gebete vergeben werden. Deshalb geziemt es sich, mit
der gebührenden Scham für das eigene schlechte Benehmen
um die Gnade und Barmherzigkeit der Vergebung des Allmächtigen
zu bitten, die Ausdruck Seines unendlichen Mitgefühls
ist. Ohne dies wären all unsere Gebete und unsere Bemühungen,
Dankbarkeit zu zeigen, vergebens. Trotzdem erlangen die Gebete,
die voller Demut und Achtsamkeit verrichtet werden, das Wohlgefallen
Allahs und werden zum Anlaß für Seine großzügigen
Segnungen. Wer jedoch nicht den Rhythmus des Körpers
mit der Ehrfurcht im Herzen vereint, kann nicht zur Essenz
des Gebets gelangen, die zu erreichen es sowohl der physischen
wie der spirituellen Aspekte bedarf. Deshalb sollte man alles,
was diesem Zusammenspiel von Körper und Geist im Wege
steht, aus dem Wege räumen und der Verstand sollte frei
von jeglicher Ablenkung sein. So sagte der Prophet –
Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – zum Beispiel:
„Wenn das Essen zur Gebetszeit bereit ist, eßt
zuerst (bevor ihr betet)!“
Muslimische Gelehrte betonen die Wichtigkeit dieser Einheit
von Körper und Geist während des Gebets und warnen
in der Form von Gleichnissen besonders vor drei Arten von
Fehlverhalten, die das Gebet gefährden und deren Vertreter
sie mit entsprechenden Berufen oder Tätigkeiten vergleichen:
Der Jäger
Der Lastenträger
Der Kaufmann
Der Jäger ist jemand, dessen Augen während des Gebets
ständig unruhig umherspähen. Der Lastenträger
ist einer, der sich vor dem Gebet, obwohl er dessen bedürfte,
nicht erleichtert und nicht seine Gebetswaschung erneuert.
Der Kaufmann ist derjenige, der seine Gedanken nicht von den
Dingen dieser Welt befreien kann.
Diesen drei Typen von Menschen entgeht der Segen des Gebets,
weil sie nie zu Ruhe und Ehrfurcht finden können. Ihr
Gebet wird zum Selbstzweck und verliert seinen Wert im Angesicht
Allahs, weil ihre Körper oder Gedanken beim Gebet nicht
anwesend sind. So sagte der Prophet – Allah segne ihn
und schenke ihm Frieden –, als er sah, wie jemand während
des Gebets mit seinem Bart spielte:
„Wenn in seinem Herzen fromme Ehrerbietung wäre,
blieben all seine Körperteile bewegungslos.“ (10),
und verlieh damit der gleichermaßen großen Bedeutung
der Präsenz von Herz und Körper im Gebet Ausdruck.
Und ebenso sagte er – Allah segne ihn und schenke ihm
Frieden: „Wenn ihr euch zum Gebet erhebt, verrichtet
euer Gebet, indem ihr all eure Körperteile zur Ruhe bringt!
Schwankt nicht hin und her, wie es die Juden tun, denn den
Körper ruhig zu halten ist eine Bedingung für die
Vollständigkeit des Gebets.“ (11)
„Sieben Dinge während des Gebets sind von Schaytân:
Nasenbluten, Schläfrigkeit, Einflüsterungen, Gähnen,
Juckreiz, Umherschauen und Herumspielen mit irgend etwas .
. .“ (12)
All diese Dinge stehen im Widerspruch zum Geiste des Gebets
und mindern seinen Wert.
Andererseits spricht man, wenn Jemand nur äußerlich
sein Gebet in frommer Demut verrichtet, während sein
Inneres fern davon ist, von heuchlerischer Frömmigkeit
oder vorgetäuschter Demut; Eigenschaften, vor denen man
sein Herz auf alle Fälle hüten sollte.
Das letzte Wort dieser Betrachtung der ,frommen Ehrerbietung’
im Gebet soll das Bittgebet des Propheten Ibrahim –
auf ihm sei der Friede Allahs – sein, das Allah der
Allmächtige uns im heiligen Qur’ân gelehrt
hat:„O mein Herr, mach’ mich von denen, die das
Gebet verrichten und (ebenso) meine Nachkommenschaft! O unser
Herr, und erhöre mein Bittgebet!“ (13)
Wie man fromme Ehrerbietung im Gebet
erreicht
Der Meister Hâtim al-Asam empfiehlt, die folgenden Dinge
zu beachten, um den Anforderungen des Gebetes wahrhaft gerecht
zu werden: „Bereite dich für das Gebet in bester
Weise vor. Dann stelle die Ka´ba vor deine Augen und
die Brücke (Sirât), die ins Paradies führt,
unter deine Füße, das Paradies zu deiner Rechten
und die Hölle zu deiner Linken! Tritt ein in die Gegenwart
Allahs voller Furcht und Hoffnung, mit dem Todesengel Azra’îl
hinter dir, der darauf wartet, dein Leben zu nehmen, in dem
Bewußtsein, daß dies dein letztes Gebet in dieser
Welt ist! Beginne dein Gebet, indem du bewußt ,Allahu
akbar!’ sagst! Beginne mit der Rezitation der Qur’ânverse
langsam und indem du über ihre Bedeutung nachdenkst!
Laß’ deine Seele sich in Ehrerbietung verneigen
und in Demut niederwerfen. Laß’ deinen Körper
den äußeren Bestimmungen des Gebets folgen, doch
laß’ deine Seele stets in der Position der Niederwerfung
bleiben und laß’ nicht zu, daß diese Einheit
auch nur für einen Atemzug unterbrochen wird . . .“
Imâm al-Ghazâlî betont die Bedeutung der
Empfindungen der Liebe zum Gesandten Allahs – Segen
und Friede seien auf ihm – während der sitzenden
Position beim Sprechen der Grußformeln (Tahhiyyât)
und gibt dafür ein Beispiel. Im Gebet ist es notwendig,
daß das Herz ständig in Frieden ist, wie uns die
folgende Empfehlung Imâm al-Ghazâlîs zeigt:
„Während der ersten und während der abschließenden
Sitzposition soll man sich, während man sagt: ,der Segen
und der Friede seien auf dir, o Prophet, und die Barmherzigkeit
Allahs!’, die Gegenwart des Propheten – Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden – zwischen den Augen
des Herzens vorstellen. . . .“
Welch gewaltige Auszeichnung und erhabene Würdigung liegen
in diesen Worten, mit denen Allah Seinen Geliebten –
Segen und Friede seien auf ihm – während seiner
Himmelsreise (Mi´râj) an der ihm vorbehaltenen
höchsten Rangstufe begrüßte: „Der Segen
und der Friede seien auf dir, o Prophet, und die Barmherzigkeit
Allahs, in dieser Welt und im Jenseits!“
Das Gebet ist die Himmelsreise des Gläubigen und versorgt
gleichzeitig diejenigen, die in der Lage sind, es zu begreifen,
mit ihrem Anteil an den Ausschüttungen göttlicher
Gnadengaben. Deshalb sollte man versuchen, aus dem Sprechen
der Segenswünsche für den Propheten – Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden – während des
Gebetes spirituellen Nutzen zu ziehen, denn diese Worte sind
für uns eine Erinnerung an die Himmelsreise des Propheten
– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden. Seine Himmelreise
ist ein Ausdruck und Symbol der höchsten Liebe Allahs
des Allmächtigen zu Seinem Gesandten – Allah segne
ihn und schenke ihm Frieden –, zu der Er ihn selbst
auserwählt und eingeladen hat. Das direkt im Anschluß
an die Segenswünsche ausgesprochene Glaubensbekenntnis
verdeutlicht, welch große Ehre mit dem Glauben an den
Einen Gott und mit der Dienerschaft Ihm gegenüber verbunden
ist. Gleichzeitig weist es hin auf das Gebot, bei der Erwähnung
seines Namens stets die Segenswünsche für ihn auszusprechen
– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden! So ist das
Gebet mit all seinen Bestandteilen wie ein von der wahren
Essenz des Islam aus zu uns hin geöffneter Fensterladen.
Diejenigen, die Allah lieben, kommen Ihm durch dieses Fenster
näher und sehen erhabene Erscheinungen und Wirklichkeiten
in der Schau göttlicher Mysterien. Allein aus diesem
Grunde ist es gänzlich unvorstellbar, vollkommenen Glauben
zu verwirklichen, ohne das Geheimnis der Erwähnung des
Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden
– zu begreifen, welche sich mit dem göttlichen
Namen Allahs zu den Worten des Glaubensbekenntnisses vereint.
So gebietet Allah den Gläubigen, als Widerspiegelung
Seiner Liebe zu diesem Besten der Geschöpfe, Segenswünsche
auf den Propheten – Segen und Friede seien auf ihm –
zu senden und verkündet im gleichen Vers, daß Allah
und Seine Engel ebenfalls Segenswünsche auf ihn senden:
„Wahrlich, Allah und Seine Engel senden Segenswünsche
auf den Propheten, o ihr Gläubigen, wünscht Segen
auf ihn und vollkommenen Frieden!“ (14)
Diejenigen, die sich ganz dem Gottesdienst und dem Gebet widmen,
verlieren sich darin und sorgen sich nicht länger um
die Angelegenheiten dieser Welt.
Bezüglich derer, die fähig sind, das Gebet in dieser
Weise zu verrichten, sagt Meister Jalâluddîn Rûmî:
„Diese Leute verlassen in dem Moment, in dem sie das
Gebet beginnen, diese Welt, so wie ein Opfertier in dem Moment,
in dem es geopfert wird, die Welt verläßt.“
Dann ruft Rûmî dem Betenden zu: „Du betest,
in der Gebetsnische einer Moschee nach Mekka gewandt, aufrecht
stehend wie eine Kerze. Sei weise und begreife die Bedeutung
von ,Allahu akbar!’: ,O unser Herr, wir opfern uns in
Deiner Gegenwart! Indem wir die Hände zu den Ohren erheben,
lassen wir alles hinter uns und wenden uns zu Dir allein!’“
Und Rûmî sagt: „Genau wie man zu Beginn
des Gebets ,Allahu akbar!’ sagt, spricht man auch beim
Schlachten eines Opfertieres die Worte ,Allahu akbar!’.
So ist das Aussprechen des ,Allahu akbar!’ zu Beginn
des Gebets auch ein Symbol dafür, daß man seine
egoistischen Wünsche und Begierden opfert. In jenem Augenblick
ist dein Körper wie Ismâ´îl und deine
Seele ist wie Ibrahim – auf ihnen beiden sei der Friede.
Wenn deine Seele sagt ,Allahu akbar!’, entledigt sich
dein Körper seiner Wünsche und Begierden. Und wenn
du dann ,Bismillahi-Rahmâni-Rahîm’ sagst,
werden sie geopfert. Diejenigen, die aufgereiht stehen im
Gebet, in der Gegenwart Allahs, so wie sie auch am Tage des
Gerichtes stehen werden, für die beginnt bereits die
Befragung, die Abrechnung und das Plädoyer. Wer im Gebet
stehend weint, gleicht dem, der am Tag des Gerichts, nach
der Auferstehung aus dem Grabe, vor dem Allmächtigen
steht. Allah wird dich zur Rechenschaft ziehen und fragen:
,Was hast du getan mit deinem Leben in dieser Welt? Was hast
du erworben und was hast du für Mich mitgebracht?’
In der Gegenwart Allahs kommen Hunderttausende derartiger
schwerwiegender Gedanken und Fragen ins Bewußtsein.“
Und er beschreibt den Ablauf des Gebets: „Wenn er im
Gebet steht, empfindet der Diener Scham, bis er sich beugt,
weil er vor Scham nicht mehr stehen kann. In der Verneigung
lobpreist er dann Allah, indem er sagt: ,Gepriesen sei mein
Herr, der All-Gewaltige!’Dann befiehlt Allah dem Diener:
,Erhebe dein Haupt und beantworte genau eine Frage nach der
anderen!’Der Diener erhebt voller Scham sein Haupt,
doch wegen der Vielzahl seiner Sünden kann er es nicht
ertragen und wirft sich mit dem Gesicht zur Erde nieder. Da
ergeht der göttliche Befehl: ,Erhebe dich aus der Niederwerfung
und berichte, was du getan hast!’Er erhebt wieder voller
Scham sein Haupt, doch er kann es nicht ertragen und fällt
zurück mit dem Gesicht auf die Erde.Da sagt der Allmächtige:
,Erhebe dein Haupt, ich will dich genau nach jeder einzelnen
deiner Taten befragen!’ Die Worte Allahs sind von solch
ehrfurchtheischender Gewalt, daß er nicht stehen kann
und deshalb mit gebeugten Knien sitzen bleibt. Und der Allmächtige
sagt: ,Nun sprich! Habe Ich dir nicht Gnaden erwiesen? Wozu
hast du sie benutzt? Hast du Mir je gedankt? Ich habe dir
materiellen und spirituellen Reichtum gegeben, was hast du
damit erworben?’ Der Diener wendet sein Gesicht nach
rechts und entbietet der Seele des Propheten – Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden – und den Engeln den
Friedensgruß und bittet: ,O Herrscher der spirituellen
Welt, legt Fürsprache für diesen Übeltäter
ein, für diesen armen Sünder, der im Sumpfe seiner
Taten untergeht!’ Und der Prophet – Allah segne
ihn und schenke ihm Frieden – erwidert dem Diener auf
dessen Gruß: ,Die Zeit, um Hilfe und Beistand zu rufen
ist vorbei, in der Welt hättest du Beistand erhalten
können. Du hast keine guten Werke getan, du hast keinen
Gottesdienst verrichtet, du hast deine Zeit mit nutzlosen
Dingen vergeudet!’ Dann wendet der Diener sein Gesicht
nach links. Er bittet seine Verwandten um Hilfe. Doch sie
antworten ihm: ,Bitte uns nicht um Hilfe! Wer sind wir denn?
Du mußt deinem Herrn selber Rechenschaft ablegen!’
Der Diener, der von nirgendwo Hilfe bekommen kann, verzweifelt.
Ohne Hoffnung von irgendwoher Beistand zu finden, wendet er
sich an Allah, um bei Ihm Zuflucht zu suchen, erhebt seine
Hände zum Bittgebet und sagt: ,O mein Herr, Du bist der
Erste und der Letzte, der Einzige, den der Diener anrufen
und der Letzte, an den er sich wenden kann. Ich suche Zuflucht
in Deiner endlosen Barmherzigkeit und Deinem grenzenlosen
Mitgefühl!’“
Und der in den Strömen tiefgeistiger Versenkung schwimmende
Meister Rûmî pflegte zu sagen: „Schau auf
diese frohen Zeichen im Gebet und sei dir bewußt, was
dich erwarten könnte. Sammle dich und versuche, aus deinem
Gebet sowohl körperlich als auch spirituell Nutzen zu
ziehen! Wirf dich nicht nieder, wie ein Vögelchen, das
Körner pickt! Nimm’ die Warnung des Propheten –
Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – ernst, der
gesagt hat: ,Der schlimmste Dieb ist der, der vom Gebet stiehlt!’
(15)
Wer sein Gebet in frommer Herzensdemut verrichtet und Allah
im vollen Bewußtsein Seiner Liebe anfleht, dessen Gebet
ist derart angenommen und von solch hohem Wert, daß
Allah ihm ,labbayk!’ zuruft!“ (16)
Was die Unterschiede im Gebet bezüglich der darin gezeigten
frommen Ehrerbietung angeht, hat der Prophet – Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden – gesagt: „Zwei
Menschen mögen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zwei
Gebetseinheiten (Rak´a) beten, doch zwischen ihnen ist
ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde.“ (17)
Deshalb weist der Qur’ân darauf hin, daß
wirklich Gläubige diejenigen sind, die ihr Gebet in frommer
Ehrerbietung verrichten: „ . . . und die, die ihr Gebet
getreulich verrichten . . .“ (18) und in der gleichen
Sure heißt es: „ . . . diejenigen, die beständig
im Verrichten ihrer Gebete sind“ (19)
Die Gotterkennenden verstehen diese Verse so: „Die Bedeutung
dieser Worte kann sich nicht nur auf die äußere
Form des Gebets beziehen, weil diese vergänglich ist.
Sie beziehen sich also auf die innere Wirklichkeit des Gebets,
auf das Sich-Verneigen und Sich-Niederwerfen der Seele. Beständig
im Gebet zu sein, bedeutet, sich niemals vom Gedenken an Allah
zu entfernen.“
Und Maulânâ Jalâluddîn Rûmî
interpretiert diese Verse so: „Der Diener bewahrt den
Zustand, den er während des Gebets erfährt, nach
dem Gebet. So verbringt er sein ganzes Leben in rechtschaffenem
Verhalten, frommer Ehrerbietung und schützt seine Zunge
und Seele. Dies ist der Weg derer, die Allah lieben.“
Und er fährt fort: „Das Gebet, das uns von schlechten
Taten fernhält, wird fünfmal täglich verrichtet.
Diejenigen die Allah lieben sind jedoch stets im Gebet, denn
um die Sehnsucht ihrer Seelen und die göttliche Anziehung
in ihrer Brust zu stillen, sind fünf Gebete am Tag niemals
genug.
Das Gebet dessen, der in Liebe zu Allah entbrannt ist, gleicht
dem Zustand eines Fisches im Wasser. Ein Fisch kann nicht
ohne Wasser leben, die Seele des Allah Liebenden kann ohne
ständiges Gebet keinen Frieden finden. Deshalb gilt der
Satz: ,Besuche mich gelegentlich!’ nicht für diejenigen,
die Allah lieben, denn die Seelen der wahrhaft Liebenden dürsten
immer nach Ihm.
Wenn ein Liebender nur einen Moment vom Gegenstand seiner
Liebe entfernt ist, kommt es ihm vor, als seien es Tausende
von Jahren. Und wenn er Tausende von Jahren mit dem Geliebten
verbringt, ist es für ihn nur wie ein Augenblick. Das
ist der Grund, weshalb derjenige, der Allah liebt, stets im
Gebet ist, um dadurch Allah zu begegnen. Wenn er auch nur
eine einzige Gebetseinheit verpaßt, kommt es ihm vor,
als hätte er Tausende verpaßt.“
„O, ihr, die ihr Verstand besitzt! Die Begegnung im
Gebet ist keine Angelegenheit, die der Verstand begreifen
könnte. Sie läßt sich nur begreifen, indem
ihr den Verstand dem Geliebten opfert und eure Herzen zum
Leben erweckt!“
Und diese ,Erweckung des Herzens’ hängt davon ab,
welcher (Gebets-)Richtung (Qibla) sich der Diener zuwendet.
Maulânâ Jalâluddîn Rûmî
sagt darüber: „Die Gebetsrichtung der Könige
ist die Krone und der Gürtel, die Gebetsrichtung der
weltlich Gesinnten ist Gold und Silber. Die Gebetsrichtung
derer, die dem Materiellen verfallen sind, sind ihre Götzen,
die Gebetsrichtung derer, die das Spirituelle lieben, sind
das Herz und die Seele. Die Gebetsrichtung der Asketen ist
die Nische einer Moschee, die Gebetsrichtung der Achtlosen
sind nutzlose Werke und die Gebetsrichtung der Faulenzer ist
Schlafen und Essen. Die Gebetsrichtung des Menschen ist Wissen
und Weisheit. Die Gebetsrichtung der Liebenden ist die ewige
Vereinigung, die Gebetsrichtung der Weisen ist das Angesicht
Allahs. Die Gebetsrichtung der Leute des Diesseits ist Besitz
und Ansehen, die Gebetsrichtung des Derwisch sind die Regeln
seines Ordens. Die Gebetsrichtung des Besessenen ist seine
Leidenschaft, die Gebetsrichtung der Genügsamen ist Gottvertrauen.
Wir müssen uns bewußt sein, daß unsere Gebetsrichtung
nicht das Gebäude der Ka´ba ist, sondern der Ort,
an dem sie steht. Würde die Ka´ba an einen anderen
Platz gebracht, könnte sie nicht länger unsere Gebetsrichtung
sein.“
So soll man sein Herz auf Allah ausrichten, während man
den Körper der Ka´ba zuwendet, denn die Gebetsrichtung
des Herzens ist Allah. Um den Zustand frommer Ehrerbietung
im Gebet zu verwirklichen, ist es notwendig, die Absicht zum
Gebet in vollkommener Weise zu fassen, in Übereinstimmung
mit den Worten des Propheten – Allah segne ihn und schenke
ihm Frieden: „Wahrlich, die Taten sind entsprechend
ihren Absichten . . .“. Das heißt, daß wir
uns bewußt werden sollten, in wessen Gegenwart wir sind,
während wir beten. Und das bedeutet, genau auf die Ausrichtung
des Herzens zu achten, während man sich gleichzeitig
von allen Zielen, außer dem göttlichen Wohlgefallen,
trennt.
Man sollte etwas von der gewaltigen Erhabenheit Allahs spüren,
während man sein Gebet mit den Worten ,Allahu akbar!’
beginnt. Wenn jemand zu Beginn des Gebets seine Hände
hebt, sollte er damit alles hinter sich lassen. Im Herzen
sollte er die Freude darüber spüren, in der Gegenwart
Allahs zu sein und sein Gebet sollte mit der Empfindung beginnen,
diese vergängliche Welt um des Jenseits willen verlassen
zu haben. Während er steht, sollte der Betende seine
Augen auf den Punkt richten, auf dem seine Stirn in der Niederwerfung
zu ruhen kommt. Er sollte sich stets bewußt sein, daß
er vor Allah steht, ein hilfloses Wesen, das vollkommen auf
seinen Herrn und Schöpfer angewiesen ist. Dabei sollte
er versuchen, zu denen zu gehören, die unser erhabener
Herr vor Seinen Engeln mit Worten wie: „Welch vorzüglicher
Diener!“ lobend erwähnt. Bei der Rezitation sollte
er darauf achten, die Worte richtig und Wort für Wort
auszusprechen und sich ihres Sinnes bewußt zu werden,
um über sie nachzudenken und sie in seinem Leben in die
Tat umzusetzen. Allahs Gesandter – Allah segne ihn und
schenke ihm Frieden – hat gesagt: „Den Qur’ân
zu rezitieren bedeutet, mit Allah zu sprechen!“ (20)
Deshalb sollte man bei der Qur’ânrezitation aufmerksam
sein
.
In der Verneigung soll man sagen: ,Gepriesen sei mein Herr,
der All-Gewaltige’ und dabei über diese Worte nachdenken
und versuchen, sich der gewaltigen Größe Allahs
bewußt zu werden. Ebenso soll man versuchen, sich, während
des Lobpreises in der Niederwerfung mit den Worten ,Gepriesen
sei mein Herr, der Aller-Höchste’, der unbeschreiblichen
Erhabenheit des Allmächtigen zu nähern. Und in dem
Wissen, daß der Diener in dieser Position der Niederwerfung
seinem Herrn am nähesten kommt, sollten wir uns bemühen,
Ihm unsere Seele ebenso wie unseren Körper in demütiger
Niederwerfung zuzuwenden. Nur so können wir des Geheimnisses
teilhaftig werden, das in dem heiligen Vers beschrieben wird:
„ . . . und wirf dich (in Anbetung) nieder und komm’
näher (zu Allah)!“ (21)
In dieser Weise soll der Diener sich der Begegnung mit Allah
erfreuen und versuchen, zu denen zu gehören, die Allah
lieben und sich nach Seiner Liebe sehnen.
Während des Sitzens, nach jeweils zwei Gebetseinheiten,
sollte der Diener in respektvoller Ergebenheit die Worte des
Tahiyyât rezitieren und, im Bewußtsein seiner
Schwäche und Unvollkommenheit, die Vergebung und barmherzigen
Segnungen seines Herrn erbitten. Wenn er sich dann zuerst
nach rechts und dann nach links wendet, und das Gebet beendet,
wobei er zu den beiden Engeln, die ihn begleiten, sagt: ,Der
Friede sei auf euch und die Barmherzigkeit Allahs!’,
sollte er die Freude seiner Begegnung mit Allah empfinden
und sie mit den beiden Engeln auf seiner rechten und linken
Schulter teilen.
Wenn das Gebet so verrichtet wurde, daß es das Wohlgefallen
des Allmächtigen findet, erwidern die beiden Engel den
Friedensgruß und verkünden, daß es in dieser
und der nächsten Welt angenommen ist, so wie Allah es
im edlen Qur’ân beschreibt: „Friede sei
auf euch, da ihr geduldig wart! Seht nun, wie wunderbar der
Lohn der endgültigen Heimstatt ist!" (22)
Solche Erfordernisse des Gebets, wie fromme Ehrerbietung,
rechtes Benehmen und die Erfahrungen der Begegnung mit Allah,
sind nicht außerhalb menschlicher Reichweite. Das Empfinden
spiritueller Freude darf keinesfalls nur als ein zusätzliches,
zierendes Element des Gebets betrachtet werden, denn das Gebet
des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden
–, der uns zu beten lehrte, übertrifft jede derartige
Einschätzung bei Weitem. Und ebenso wie das seine, sind
auch die Gebete seiner Gefährten – Allah möge
mit ihnen zufrieden sein – und der erwählten Gottesfreunde,
die ihnen nachfolgen, lichtvolle Beispiele für uns.
Das Gebet des Propheten
– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –
Es wird überliefert, daß, während der Prophet
– Segen und Friede Allahs seien auf ihm – das
Gebet verrichtete, die in seiner Nähe Anwesenden ein
weinendes Geräusch hörten, das aus dem Innern seiner
Brust zu kommen schien. ´Alî – möge
Allah mit ihm zufrieden sein – berichtete aus seiner
Erinnerung eine diesbezügliche Beobachtung: „Ich
sah den Gesandte Allahs – Segen und Friede seien auf
ihm – während der Schlacht von Badr weinend im
Gebet unter einem Baum. (Er verbrachte so) die ganze Nacht
bis zum frühen Morgen . . .“ (23)
Es wurde sogar berichtet, daß aus dem Herzen des Propheten
– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – während
des Gebets Geräusche drangen, wie aus einem brodelnden
Topf. So berichtete ´îscha – möge
Allah mit ihr zufrieden sein: „Wir pflegten von Zeit
zu Zeit während des Gebetes eine Art von Geräusch
aus der Brust des Propheten zu hören, als ob darin ein
Kochtopf brodelte.“ (24)
Und ´îscha – möge Allah mit
ihr zufrieden sein – berichtete ebenfalls, wie sich
der Zustand des Gesandten Allahs – Segen und Friede
seien auf ihm – zur Gebetszeit veränderte: „Der
Gesandte Allahs pflegte sich mit uns zu unterhalten und wir
redeten mit ihm. Doch wenn die Gebetszeit kam, veränderte
er sich und es schien, als ob er uns überhaupt nicht
kenne und sein ganzes Wesen wandte sich Allah zu . . .“
(25)
Dementsprechend sollte das erste Ziel unserer Seelen sein,
dieser Segnungen des Gebetes teilhaftig zu werden. Auch wenn
es uns nicht immer gelingen kann, sollten doch all unsere
Anstrengungen in diese Richtung gehen. Der Zustand des Propheten
– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – während
des Gebets sollte stets unser Idealbild sein. Je mehr es uns
gelingt, uns diesem zu nähern, desto größeren
Nutzen ziehen wir aus unserem Gebet. Es muß aber sicher
auch deutlich gesagt werden, daß keine menschliche Bemühung
zu vollkommener Perfektion führen kann, ohne daß
auf dem Weg dorthin vielfältige Prüfungen zu bestehen
sind. Das gleiche gilt auch für das Gebet. Zuerst wird
das Gebet nur in Nachahmung der äußeren Form verrichtet
und genau wie ein Künstler Zeit und Erfahrung braucht,
um ein Kunstwerk zu vollenden, benötigt auch der Gottesdiener
für das Erlernen des Gebets seine Zeit. Deshalb sollten
all die, denen es nicht gelingt, ihr Gebet in perfekter Weise
zu verrichten, die Hoffnung nicht aufgeben und sich auch weiter
um Vervollkommnung bemühen. Genau wie man, um ein Gramm
Gold zu gewinnen, Tonnen von Erde sieben muß, braucht
man das dem entsprechende Maß an Ausdauer, um im Gebet
zu Perfektion und innerem Frieden zu gelangen. Dabei ist es
von großem Nutzen, die folgenden Worte des Gesandten
Allahs – Segen und Friede seien auf ihm – zu beachten:
„Wenn du betest, bete, als sei es dein letztes Gebet!
Sag’ nichts, was du morgen bereuen könntest! Laß’
das Verlangen nach solchen Dingen, nach denen die Achtlosen
verlangen!“ (26)
Die edlen Gefährten des Propheten – Allah segne
ihn und sie und schenke ihnen allen Frieden – und ebenso
die rechtschaffenen Gottesfreunde, die ihnen folgten, haben
stets danach gestrebt, diese Ziele, die der Gesandte Allahs
mit seinen Worten gesteckt hat, zu erreichen.
Das Gebet bedeutender Persönlichkeiten
des Islam
´Umar, der zweite Kalîf des Islam – möge
Allah mit ihm zufrieden sein –, war bei dem Attentat
eines Feueranbeters schwer verwundet worden und dem Tode nah.
Er litt unter heftigem Blutverlust und wurde bald bewußtlos.
Als jedoch die Gebetszeit begann, sagte jemand ihm ins Ohr:
„Das Gebet! Es ist Zeit für das Gebet, o ´Umar!“
woraufhin er wieder zu sich kam und das Gebet verrichtete.
Danach sagte er: „Wer das Gebet nicht verrichtet, hat
keinen Platz im Islam!“ Kurz darauf verlor er wieder
das Bewußtsein und verstarb bald danach
.
´Alî – möge Allah mit ihm zufrieden
sein –, der vierte Khalîf, pflegte während
des Gebetes bleich zu werden und alle weltlichen Empfindungen
abzulegen. Als er einmal während einer Schlacht von einem
Pfeil getroffen wurde, fing er an, das Gebet zu verrichten,
damit man diesen aus seinem Körper ziehen konnte. Dabei
spürte er keinen Schmerz, als der Pfeil herausgezogen
wurde. Einmal wurde er gefragt: „O Führer der Gläubigen!
Warum wird dein Gesicht bleich und dein Körper fängt
an zu zittern, wenn die Gebetszeit beginnt?“ Er antwortete:
„Weil es die Zeit ist, einen Gottesdienst zu verrichten,
den die Erde und der Himmel nicht tragen könnten. Und
ich weiß nicht, ob ich ihn vollkommen verrichten kann
oder nicht!“
Alle Gefährten des Propheten – möge Allah
ihn und sie alle segnen und ihnen Frieden schenken –
waren im Gebet von Gottesfurcht und Ergebenheit erfüllt.
Hasan, der Enkel des Gesandten Allahs – Segen und Friede
seien auf ihm und seiner Familie –, pflegte während
der Gebetswaschung zu erbleichen. Jemand, der dies bemerkte,
fragte ihn deshalb: „O Hasan, warum wirst du bleich
während der Waschung?“ Er antwortete: „Weil
es Zeit ist, in die Gegenwart Allahs, des Allmächtigen
und Majestätischen, zu treten!“
Wenn er die Moschee betrat, rezitierte er die folgenden Worte:
„O mein Herr! Dein Diener steht an Deiner Pforte! O
All-Barmherziger, Dein sündigster Diener steht vor Dir.
Du hast Deinen rechtschaffenen Dienern befohlen, die schlimmsten
Taten der sündigen Menschen zu vergeben, weil Du der
Großzügigste und All-Verzeihende bist. Vergib mir
meine Sünden, erweise mir Deine Gnade durch Deine Großzügigkeit
und erbarme Dich meiner!“
Zaynu l-´Âbidîn pflegte bleich zu werden,
wenn er aufstand, um die Gebetswaschung zu verrichten und
seine Knie begannen zu zittern, wenn er anfing, zu beten.
Denjenigen, die ihn fragten: „Was ist mit dir?“
antwortete er: „Wißt ihr denn gar nicht, in wessen
Gegenwart zu begeben ich mich anschicke?“
Einmal geriet sein Haus in Brand, während er das Gebet
verrichtete, doch er bemerkte nichts davon. Nachdem er sein
Gebet beendet hatte, erzählte man ihm, was geschehen
war und fragte ihn: „Wieso hast du nicht gemerkt, was
geschehen ist?“ Er antwortete: „Das Feuer im Jenseits
hat mich daran gehindert, das Feuer im Diesseits zu bemerken!“
Ähnliches wird auch von Muslim ibn Yasar berichtet. Er
betete einmal in einer Moschee in Basra, als diese einstürzte,
doch er bemerkte nichts davon und betete weiter. Nachdem er
sein Gebet beendet hatte, wurde er gefragt: „Die Moschee
ist eingestürzt, doch du hast dich nicht darum gekümmert,
wie kannst du dich so verhalten?“ Voller Verwunderung
fragte er: „Ist sie wirklich eingestürzt?“
Sufyân ath-Thaurî war einmal in einem Zustand
großer spiritueller Ekstase. Er zog sich für sieben
Tage in die Abgeschiedenheit zurück. Er aß und
trank nichts. Als sein spiritueller Meister davon erfuhr,
fragte er: „Ist er in der Lage, die Gebetszeiten einzuhalten?“
Als man ihm sagte, daß er sich an die Gebetszeiten hielte
und seine Gebete in ordentlicher Weise verrichte, sagte er:
„Dank sei Allah, der nicht zuläßt, daß
Schaytân ihn überwältigt!“
Einer der Gottesfreunde berichtete: „Ich verrichtete
einmal das Nachmittagsgebet hinter dem Meister Dhu n-Nûn
al-Misrî. Als dieser, der zu den großen Auliyâ
gezählt wird, ,Allahu akbar!’ sagte, war das Wort
,Allahu’ so gewaltig, daß ich dachte, meine Seele
würde meinen Körper verlassen. Und als er sagte
,akbar’, war mir, als würde mein Herz in Stücke
gerissen.“
´Âmir ibn ´Abdullah brach alle Verbindungen
mit der Außenwelt ab und pflegte zu sagen: „Es
wäre mir lieber, wenn mein Körper von einem Pfeil
durchbohrt würde, als während des Gebets das Gerede
und die Handlungen der Menschen um mich herum wahrnehmen zu
müssen.“
Die heutigen Menschen, die nicht so beten können, wie
die Gefährten des Propheten – Allah segne ihn und
sie und schenke ihm und ihnen Frieden – und deren Nachfolger,
sind oft so fern der Freuden und des Geschmacks des Gebets,
daß sie sogar dessen Sinn und spirituellen Nutzen anzweifeln.
Ihr Verstand reicht offenbar nicht aus, um zu begreifen, daß,
während viele Menschen ihre Zeit mit weltlichen und oftmals
üblen Handlungen verschwenden, die wahren, unvergänglichen
Freuden und Genüsse im Gebet zu erfahren sind. Diesen
Menschen ist es unmöglich, sich derartige Freuden auch
nur vorzustellen. Während sie glauben, daß man
in der Begegnung und im Gespräch mit einem geliebten
Menschen alles um sich herum vergessen kann, sind sie unfähig,
zu erkennen, welch viel größere Freude jemand im
Gebet empfinden kann - in der Begegnung und im Zwiegespräch
mit seinem Meistgeliebten, seinem Herrn, Allah. Welch trauriger
Zustand von Blindheit hat die Menschheit nur befallen!
In Wirklichkeit führt aufrichtiges Gebet den Diener hin
zur Gotteserkenntnis und zur Vervollkommnung seines Wesens
in Dankbarkeit und Dienerschaft Allahs. Deshalb ist das Verrichten
des Gebets ein Leichtes für diejenigen, die starken Glaubens
sind und deren Herzen erfüllt sind von der Liebe zu Allah.
Für sie ist das Gebet ein Quell unbeschreiblicher Freude.
Darum haben sie stets das Gefühl, sich im Gebet zu befinden,
auch während sie körperlich nicht beten
.
Uways al-Qarânî liebte es, lange Zeit im Gebet
verweilen. Einmal kam ein Freund, um ihn zu besuchen, während
er dabei war, das Gebet zu verrichten. Sein Freund wartete
darauf, daß er sein Gebet beendete, doch als er sah,
daß dies Gebet kein Ende zu nehmen schien, sagte er
zu sich selbst: „O Seele, du bist hergekommen, um Uways
zu besuchen und von seinem Segen zu profitieren. Dies ist
die höchste Stufe, dies ist der beste Rat und Taten sagen
mehr als Worte! Wenn du vermagst, aus dem, was du hier siehst,
die rechte Lehre zu ziehen, dann ist dies mehr als genug für
dich bis an dein Lebensende!“
Es war für diesen Besucher eine unausgesprochene und
edle Lehre, die keiner Worte bedurfte. Und so ging er davon,
in dem Bewußtsein, mit göttlicher Zufriedenheit
und innerem Frieden gesegnet worden zu sein.
Über diejenigen, denen derartige Gnaden verwehrt bleiben,
sagt Allah der Allmächtige: „ . . . und das Gebet,
dies ist wahrlich schwer, außer für die, die demütig
sind.“ (27)
Auch wenn es uns nicht möglich scheint, die Stufen zu
erreichen, die den Gottesfreunden und Rechtschaffenen durch
ihr Gebet zuteil wird, müssen wir uns doch, so weit es
unserem Herzen und unserer Seele möglich ist, darum bemühen.
Schaytân versucht gelegentlich, uns davon abzubringen,
indem er uns einredet, daß unser Gebet sowieso nichts
wert sei, weil es nicht höchsten Anforderungen entspricht.
Dies ist eine seiner Fallen! Ein Trick, der dazu dienen soll,
uns in die Irre gehen zu lassen. Es ist auf jeden Fall besser,
zu beten, selbst wenn wir unser Gebet nicht in vollkommener
frommer Ehrerbietung verrichten können, als das Gebet
zu unterlassen. Der Unterschied zwischen Gebet und Unterlassen
des Gebets ist gewaltig. Wer nicht betet, erleidet immer einen
Verlust. Wer jedoch in unvollkommener Weise betet, mag eines
Tages die göttliche Gnade erfahren, die ihn dazu führt,
das Gebet so zu verrichten, daß es des Wohlgefallens
des Allmächtigen würdig ist. Und wenn es uns auch
nur einmal gelingt, ein solches Gebet verrichten, mag uns
das Glück zuteil werden, uns in der göttlichen Gegenwart
Allahs wiederzufinden.
* aus:
Osman Nuri Topbas
Der Islam – Innere Wirklichkeit und äußere
Form
Deutsche Übersetzung: Abd al-Hafidh Wentzel
Erkam Verlag, Istanbul, 2004
376 S., Paperback
Bestellungen an:
abdal-hafidh@warda.info
oder: Adnan Sarp, altinoluk.avrupa@netcologne.de
(1) Qur’ân, 87:14
(2) Qur’ân, 23:1-2
(3) Tabarânî
(4) Abû Daûd, Salât, 12
(5) Abû Daûd und Nasâ’
(6) M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il
al-A´mâl , 285-286
(7) Qur’ân, 49:13
(8) Imâm Ahmad,Targhîb
(9) M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il
al-A´mâl , 251
(10) Tirmidhî
(11) Tirmidhî
(12) Tirmidhî
(13) Qur’ân, 14:40
(14) Qur’ân, 33:56
(15) Hakim, Mustadrak, I, 353
(16) ,labbayk!’ bedeutet ,zu deinen Diensten!’
(17) Ihyâ ´Ulûm id-Dîn
(18) Qur’ân, 70:34
(19) Qur’ân, 70:23
(20) Abû Nu´aym, Hilya, 7, 99
(21) Qur’ân, 96:19
(22) Qur’ân, 13:24
(23) M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il
al-A´mâl , 299
(24) Abû Daûd, Salât, 157; Nasâ’î,
Sahw, 18
(25) M. Zakariyâ Kandehlevî, Fadâ’il
al-A´mâl , 303
(26) Ibn Mâjah, Zuhd, 15
(27) Qur’ân, 2:45
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